Arbeitgeber dürfen einen Betriebsrat in einem Anhörungsverfahren zu einer Einstellung rein digital informieren. Statt Unterlagen in Papierform zu übermitteln, ist laut Beschluss des Bundesarbeitsgerichts (BAG) auch eine Unterrichtung per (Lese-)Zugriff in einem Bewerbermanagement-System zulässig (Az.: 1 ABR 28/22).

Vor jeder geplanten Einstellung muss ein Arbeitgeber den Betriebsrat laut Gesetz unterrichten, ihm die „erforderlichen Bewerbungsunterlagen“ vorlegen und „Auskunft über die Auswirkungen der geplanten Maßnahme“ geben. Passiert das nicht oder nur unvollständig, beginnt die sog. Äußerungsfrist des Gremiums für dessen notwendige Zustimmung gar nicht erst zu laufen und das Unternehmen kann sich bei fehlender Antwort auch nicht auf eine sog. Zustimmungsfiktion berufen. Darum ging es im Kern in einem Streit zwischen einem Getränkeproduzenten und dem örtlichen Betriebsrat.

Im Oktober 2021 wollte der Arbeitgeber für eine neu geschaffene Stelle einen „Prozess- und Projektspezialist Technik“ im Bereich Instandhaltung einstellen, informierte den Betriebsrat darüber und bat um dessen Zustimmung (wir berichteten). Das Gremium teilte der Personalabteilung jedoch mit, es könne sich noch nicht abschließend zu dem Sachverhalt äußern, da ihm für eine Entscheidung noch wesentliche Informationen und Unterlagen fehlten. Als die gewünschten Dokumente dann nachgereicht wurden, verweigerte der Betriebsrat dennoch seine Zustimmung, da die geplante Einstellung aus seiner Sicht Nachteile für bereits beschäftigte Arbeitnehmer mit sich brächte. Auch eine erneute Anhörung blieb erfolglos.

Das Unternehmen beantragte deshalb beim Arbeitsgericht, die Zustimmung des Betriebsrats gemäß § 99 Abs. 4 BetrVG zu ersetzen, um den Kandidaten einstellen zu können. Man habe alle erforderlichen Unterlagen vorgelegt und der Arbeitnehmervertretung zudem einen Lese-Zugriff auf sämtliche Bewerbungsunterlagen im elektronischen Recruiting-System eingerichtet. Zudem bringe die geplante Einstellung keinerlei Nachteile für die bestehende Belegschaft mit sich.

Der Betriebsrat entgegnete, das Zustimmungsersetzungsverfahren sei gar „nicht ordnungsgemäß eingeleitet worden“, weil die Frist des § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG „gar nicht in Gang gesetzt“ worden sei. Der Arbeitgeber habe ihn nämlich nicht ausreichend unterrichtet und es u.a. versäumt, die notwendigen Unterlagen auch in Papierform vorzulegen. Das aber sei nötig, um jederzeit Einblick nehmen zu können. Ein Online-Leserecht im System entbinde nicht von der Pflicht, die Dokumente beizubringen.

Nicht nur stoffliche Dokumente sind Unterlagen i.S.v. § 99 BetrVG

Nachdem bereits das Arbeitsgericht Halle (Saale) und das Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt der Rechtsauffassung des Unternehmens gefolgt waren, entschied auch das BAG zu dessen Gunsten. Demnach war der Arbeitgeber „nicht gehalten“ dem Betriebsrat „die ‚Bewerbungsunterlagen‘ der Interessenten in Papierform vorzulegen“. Das ergebe eine Auslegung von § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Wenn im Gesetz nach wie vor der Begriff „Unterlage“ verwendet werde, sei das der Historie der Norm geschuldet, die aus dem Jahr 1972 stamme und – „entsprechend der damaligen Lebenswirklichkeit“ – ursprünglich davon ausging, Dokumente „würden stets in physisch verkörperter Form eingereicht und müssten dem Betriebsrat daher auch in dieser Form überlassen werden“. Heutzutage aber seien Unterlagen nach umgangssprachlichen Verständnis laut Duden etwas „schriftlich Niedergelegtes, das als Beweis, Beleg, Bestätigung (…) für etwas dient“.

Aus Sicht des Senates sind Unterlagen daher „alle Interessenbekundungen und dem Arbeitgeber zu diesem Zweck übermittelten Daten, die von den Bewerbern übersandt werden“. In welchem Format diese eingehen, „ist für ihre Eigenschaft als Grundlage für dessen spätere Auswahlentscheidung unerheblich“. Gleiches gelte für die Anhörung des Betriebsrats: Die Unterrichtungs- und Vorlagepflicht diene dazu, dem Gremium die Informationen zu liefern, die benötigt werden, um eine abgewogene, sachgerechte Stellungnahme zur geplanten Einstellung abgeben zu können und zu prüfen, ob etwaige Zustimmungsverweigerungsgründe vorliegen. Und diesen „Vorgaben ist genügt, wenn der Arbeitgeber – wie hier – den Mitgliedern des Betriebsrats für die Dauer des Zustimmungsverfahrens nach § 99 BetrVG ein auf die digital vorhandenen ‚Bewerbungsunterlagen‘ aller Interessenten bezogenes Einsichts- und Leserecht gewährt“.

Aus Sicht der Richterinnen und Richter sprechen auch keine datenschutzrechtlichen Aspekte gegen eine digitale Vorlage. Denn das elektronische „Einsichtsrecht des Betriebsrats beschränkt sich im Entscheidungsfall auf diejenigen Unterlagen, die – wenn sie physisch vorhanden wären – dem Betriebsrat in dieser Form hätten überlassen werden müssen“. Entsprechend sei die Datenverarbeitung in diesem Zusammenhang „nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c und Abs. 3 DSGVO iVm. § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG erforderlich, weil sie der Erfüllung einer in § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG vorgesehenen Pflicht des Arbeitgebers dient“.

Insgesamt sei die Zustimmung zu der geplanten Einstellung daher zu ersetzen.

Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 13.12.2023 (Az.: 1 ABR 28/22).

Vorinstanzen:

  • Beschluss des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 13.10.2022 (Az.: 2 TaBV 1/22).
  • Beschlüsse des Arbeitsgerichts Halle (Saale) vom 10.11.2021 (Az.: 7 BV 71/21 NMB) sowie vom 16.03.März 2022 (Az.: 3 BV 84/21 NMB).

Info

Eine Entscheidung mit anderer Ausgangsposition, aber ähnlichem Tenor hatte vor einiger Zeit bereits das Landesarbeitsgericht Köln gefällt (LAG Köln, 15.05.2020 – 9 TaBV 32/19, wir berichteten). Demnach müssen Arbeitgeber den Betriebsrat vor einer geplanten Einstellung im Anhörungsverfahren auch Dokumente aus einer Recruiting-Software einsehen lassen, z.B. Bemerkungen, Chats und Bewertungen im System. Zur Begründung hieß es seinerzeit, ein „papierverhaftetes Verständnis“ des im Gesetz genannten Begriffs „Unterlage“ wäre „angesichts der Entwicklung von elektronischen Systemen zur Personalgewinnung zu eng“. Zudem ziele die Unterrichtungs- und Vorlagepflicht nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG darauf ab, dass „der Betriebsrat den gleichen Informationsstand besitzt wie der Arbeitgeber“.

Weitere Informationen zum Thema „Mitbestimmung des Betriebsrats bei personellen Einzelmaßnahmen finden sich auch bei in unserem BetrVG-Praxiskommentar (vgl. Siebert/Becker (Helm), 15. Aufl., § 99 BetrVG).

 

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