In dem Verfahren stritten ein städtisches Klinikum und der Betriebsrat darüber, ob der Krankenhausbetreiber von Fachärzten bei Rufbereitschaftsdiensten ab November 2021 verlangen durfte, dass diese binnen 30 Minuten nach Anforderung vor Ort beim Patienten zu sein haben.
Konkret störte sich das Gremium daran, dass die entsprechende per Dienstanweisung ohne seine Beteiligung ausgesprochen wurde, obwohl es seit 2014 eine Betriebsvereinbarung zum Thema gab.
Diese war auf Spruch der Einigungsstelle zustande gekommene und sah u.a. vor, Ärzte müssten während der Rufbereitschaft „telefonisch erreichbar und in der Lage sein, ihre Arbeitszeit innerhalb einer für die notwendige Patientenversorgung angemessenen Zeit aufzunehmen“. Nachdem der Betriebsrat seinerzeit ohne Erfolg versucht hatte, die Entscheidung (wegen etwaiger Verstöße gegen Tarifnormen) als unwirksam anzufechten, war der Spruch der Einigungsstelle rechtskräftig und wirksam geworden.
Der Arbeitgeber argumentierte nun aber, er könne die Regelung sehr wohl eigenständig per Dienstanweisung umsetzen, da der Betriebsrat in Fragen des Abrufs aus der Rufbereitschaft gar kein Mitbestimmungsrecht habe. Das sah erstinstanzlich auch das Arbeitsgericht Brandenburg so und lehnte einen Unterlassungsantrag des Gremiums gegen die Klink ab. Die Mitbestimmung „umfasse zwar die Aufstellung von Rufbereitschaftsplänen, nicht aber die inhaltliche Ausgestaltung der Rufbereitschaft“.
Das LAG entschied demgegenüber zugunsten des Betriebsrates: Die Klinik müsse die Anweisung unterlassen, „weil sie mit der darin enthaltenen einseitigen Vorgabe einer Anrückzeit, die nicht für alle Anwendungsfälle gesichert angemessen ist, den Anspruch des Betriebsrates auf Durchführung der Betriebsvereinbarung verletzt“.
Wann wird ein Einigungsstellenspruch verbindlich?
Spannend ist dabei v.a. die Begründung: Laut der Kammer kann der Betriebsrat aus dem Durchführungsanspruch einer wirksamen Betriebsvereinbarung bei etwaigen arbeitgeberseitigen Verstößen auch einen Unterlassungsanspruch ableiten. Denn die Verbindlichkeit eines rechtskräftigen Einigungsstellenspruches gelte „unabhängig davon, ob in dem Wirksamkeitsprüfungsverfahren alle Unwirksamkeitsgründe thematisiert worden sind“ – also ggf. auch in Fällen, in denen dem Gremium eigentlich gar kein Mitbestimmungsrecht zugestanden hat.
Infolgedessen sei „vorliegend den Fragen nach einer Überschreitung der Mitbestimmungspflicht bei der Bestimmung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit nach § 87 Absatz 1 Nr. 2 BetrVG und einer Verletzung des Tarifvorrangs im Hinblick auf die im Tatbestand wiedergegebene Tarifvorschrift nicht nachzugehen“.
Beschluss des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 23.06.2023 (Az.: 12 TaBV 638/22).
Vorinstanz: Beschluss des Arbeitsgerichts Brandenburg vom 27.04.2022 (Az.: 4 BV 34/21).
Beim Bundesarbeitsgericht wurde unter dem Aktenzeichen 1 ABN 21/23 Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt.
TIPP
Für derart verfahrene Situationen mit mehreren Jahren Prozess gaben die Richterinnen und Richter den Betriebsparteien noch einen Fingerzeig mit auf den Weg: Eine unliebsame Regelung ließe sich auch „durch Kündigung der Betriebsvereinbarung (vgl. § 77 Absatz 5 BetrVG) oder deren einvernehmliche Abänderung beenden“.
Mehr zum Thema Einigungsstelle findet sich in unserem Special „Keine Angst vor der Einigungsstelle“.