Firmen in der Europäischen Union müssen künftig dafür Sorge tragen, dass die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten effektiv erfasst wird. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am heutigen Dienstag entschieden. Zur Begründung hieß es u.a., ohne ein entsprechendes System könne „weder die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden und ihre zeitliche Verteilung, noch die Zahl der Überstunden objektiv und verlässlich ermittelt werden“. Das aber mache es Arbeitnehmern „äußerst schwierig oder gar praktisch unmöglich (…), ihre Rechte durchzusetzen“ und verstoße insofern gegen EU-Recht. Die Mitgliedsstaaten müssen das Urteil nun in konkrete Vorgaben umsetzen, haben dabei aber gewisse Freiräume (Rs. C-55/18).

Hintergrund ist ein Rechtstreit über die Arbeitszeiterfassung zwischen der Federación de Comisiones Obreras (CCOO) und anderen Gewerkschaften in Spanien gegen die dort ansässige Deutsche Bank SAE. Die Arbeitnehmervertreter hatten in einer Verbandsklage vor einem der obersten spanischen Gerichte laut EUGH gefordert, dass die Deutsche Bank verpflichtet sei, ein System zur Erfassung „der von den Arbeitnehmern geleisteten täglichen effektiven Arbeitszeit“ einzuführen. Das solle „die Überprüfung der Einhaltung der vereinbarten Arbeitszeit und der Verpflichtung gestatten, den Gewerkschaftsvertretern die Informationen über die monatlich geleisteten Überstunden gemäß den nationalen Rechtsvorschriften zu übermitteln“.

Während die spanische Rechtsprechung dies nach Ansicht der Deutsche Bank nicht pauschal vorsieht, verwiesen die Gewerkschaften im Prozess darauf, eine entsprechende Verpflichtung ergebe sich sowohl aus der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, als auch aus der Richtlinie 2003/88/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung.

Im Zuge eines sog. Vorabentscheidungsersuchen hatten die Richter in Madrid die Causa schließlich dem EuGH vorgelegt, damit dieser prüfen möge, ob die spanische Praxis, dass faktisch nur Überstunden aufgezeichnet werden, vielfach aber die eigentliche Zeiterfassung fehle, mit Europarecht vereinbart ist. Das war von EuGH-Generalanwalt Giovanni Pitruzzella in seiner Stellungnahme bestritten worden (wir berichteten).

Dieser Rechtsauffassung folgten die Richter in Luxemburg nun und entschieden, dass die EU-Mitgliedstaaten Arbeitgeber verpflichten müssen, Systeme zur effektiven Arbeitszeiterfassung einzurichten. Denn eine (nationale) Regelung, die keine Verpflichtung vorsieht, Arbeitszeiten nachzuhalten, gewährleiste die von der Charta und von der Arbeitszeitrichtlinie verliehenen Rechte gerade nicht, „da weder die Arbeitgeber noch die Arbeitnehmer überprüfen können, ob diese Rechte beachtet werden“. Insofern, so führte der EuGH in einer Mitteilung weiter aus, sei eine objektive und verlässliche Bestimmung der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit „für die Feststellung, ob die wöchentliche Höchstarbeitszeit einschließlich der Überstunden sowie die täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten eingehalten worden sind, unerlässlich“.

Betriebsräte und Personalabteilungen in der Pflicht

Wie genau Erfassungssysteme ausgestaltet werden müssen, ist nach Ansicht der Richter nun Sache der einzelnen Mitgliedsstaaten. Sie könnten „die konkreten Modalitäten zur Umsetzung“ bestimmen und dabei gegebenenfalls auch branchenspezifische Besonderheiten und Eigenheiten oder die Unternehmensgröße berücksichtigen.

Da es auch in Deutschland bislang keine generelle Pflicht zur Arbeitszeiterfassung gibt – lediglich Überstunden müssen laut § 16 Abs. 2 ArbZG erfasst werden -, sehen Experten in betroffenen Firmen nun sowohl Betriebsräte, als auch Personalabteilungen in der Pflicht. Zum einen sind Zeiterfassungssysteme mitbestimmungspflichtig, zum anderen ist auch die Frage nach der Vergütung von Mehrarbeit ein wichtiges Thema für HR-Verantwortliche.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) begrüßte die Entscheidung in einer Stellungnahme: „Jetzt muss Deutschland eine gesetzliche Grundlage für eine generelle Pflicht zur Arbeitszeiterfassung schaffen“, sagte Annelie Buntenbach, Mitglied des DGB-Bundesvorstands. So könne „besser kontrolliert werden, ob Ruhezeiten und tägliche Höchstarbeitszeiten eingehalten werden“. Flexibilität müsse laut DGB darunter nicht leiden, denn statt „mit der Stechuhr könnte man heutzutage schließlich per Smartphone und App die Arbeitszeit dokumentieren.“

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) monierte hingegen, die Entscheidung „wirkt wie aus der Zeit gefallen“. Auf die Anforderungen der Arbeitswelt 4.0 könne man nicht mit einer Arbeitszeiterfassung 1.0 reagieren. Und der Verband der Metallindustriellen Niedersachsens e.V. befürchtet gar „das faktische Ende der Vertrauensarbeitszeit“.

Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 14.05.2019 (Rs. C-55/18). Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier.

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