Im vorliegenden Fall hatte ein Mitarbeiter des Generalinspektorats im Amt für Einwanderung des Kreises Cluj (früher: Klausenburg), Rumänien, seinen Arbeitgeber um Kostenübernahme einer Brille für die Bildschirmarbeit gebeten. Neben der Brille, verlangte der Mann auch eine Erstattung der Kosten, die ihm im Zusammenhang mit dem Erwerb der neuen Sehhilfe entstanden waren.
Die neue Brille war dem Mann verschrieben worden, da die Bildschirmarbeit, die zudem mit künstlichem Licht und einer neuropsychischen Überbeanspruchung verbunden war, „zu einer starken Verschlechterung seines Sehvermögens“ geführt hatte. Der Arbeitgeber lehnte jedoch die Kostenübernahme in Höhe von rund 530 Euro mit Verweis auf die nationalen sozial(-versicherungs-)rechtlichen Vorschriften ab.
Daraufhin klagte der Arbeitnehmer beim Regionalgericht in Cluj gegen die Behörde und forderte die Übernahme der Kosten für die Sehhilfe. Um zu klären, ob die rumänische Regelung an dieser Stelle im Einklang mit EU-Recht steht, legten die Richter den Fall dem EuGH in Luxemburg vor.
Strittig war u.a., ob ein Arbeitgeber ausschließlich die Sehhilfe erstatten muss oder ob auch die Kosten für die notwendigen Aufwendungen des Arbeitnehmers für das Beschaffen der Brille getragen werden müssen. Zudem ging es darum, ob sich der Art. 9 der Europäischen Richtlinie 90/270/EWG (Mindestvorschriften bezüglich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Bildschirmarbeit) „ausschließlich auf den Erwerb der Sehhilfe durch den Arbeitgeber bezieht oder ob sie weiter auszulegen ist“. Bei weiterer Auslegung müsste der Arbeitgeber nicht nur die Kosten der Brille, sondern auch dafür entstandene Beschaffungskosten übernehmen. Ebenfalls wurde der EuGH gefragt, ob es mit Art. 9 der Richtlinie 90/270 vereinbar ist, „wenn diese Aufwendungen vom Arbeitgeber in Form einer allgemeinen Gehaltszulage gedeckt werden“.
Kostenübernahme trotz privater Nutzung
Der EuGH entschied, dass Arbeitnehmern dann spezielle Brillen für ihre Arbeit zur Verfügung zu stellen sind, wenn diese notwendig sind und normale Brillen nicht verwendet werden können. Nach Art. 9 Abs. 3 und 4 der Richtlinie 90/270 dürfen die betroffenen Arbeitnehmer durch diese speziellen Sehhilfen finanziell nicht belastet werden. Daher sind ihnen derartige Sehhilfen entweder unmittelbar bereitzustellen oder die Kosten der Sehhilfen sind mittelbar durch den Arbeitgeber zu erstatten. Eine allgemeine Gehaltszulage hingegen reicht nach Ansicht des EuGH nicht, da sie offenbar nicht dazu diene, „die vom betroffenen Arbeitnehmer für einen solchen Erwerb getätigte Aufwendungen zu decken“.
Insgesamt, so die Zweite Kammer, sei Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 90/270/EWG so auszulegen, dass mit dem dort verwendeten Begriff „spezielle Sehhilfen“ auch Korrekturbrillen gemeint seien, die Sehbeschwerden bei der Bildschirmarbeit sowohl korrigieren als auch vorbeugen sollen. Dabei verlange die Richtline aber keineswegs, dass die entsprechenden Brillen „ausschließlich am Arbeitsplatz oder bei der Erfüllung beruflicher Aufgaben verwendet werden dürfen“. Schließlich sehe die Regelung „keine Beschränkung in Bezug auf die Verwendung dieser Sehhilfen vor“.
Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 22.12.2022 (C-392/21).