In dem Prozess ging es um einen dreiköpfigen Betriebsrat in einer Firma, die tiefgekühlte Lebensmittel direkt vertreibt. Da dessen Vorsitzender, der als einziger bereits über Erfahrungen im Amt verfügte, wegen einer Schulter-OP und anschließender Reha länger ausfallen würde, entschied das Gremium auf einer Sitzung Mitte 2020 in seinem Beisein, den Vorsitz neu zu besetzen. Zudem wurde beschlossen, dass das nachrückende Ersatzmitglied an einer Grundlagenschulung „Betriebsverfassung: Einführung und Überblick (BR I)“ teilnehmen sollte. Kurze Zeit später beschloss man die Entsendung laut LAG aus formalen Gründen auf einer anderen Sitzung vorsorglich noch einmal.
Obwohl der Arbeitgeber die Schulungsteilnahme abgelehnt hatte, nahm der Nachrücker zum Monatswechsel August/September dennoch an dem Seminar teil. Als der Veranstalter dann von dem Mann die Seminargebühren und vom Betriebsrat die Kosten für Unterkunft und Verpflegung einforderte, ging die Sache vor Gericht. Während der Betriebsrat dabei erstinstanzlich unterlag, gab das LAG dem Antrag des Gremiums statt: Die Schulungsteilnahme des Ersatzmitglieds sei „erforderlich“ gewesen, weshalb der Arbeitgeber den Betriebsrat „von den Seminargebühren und Übernachtungskosten freizustellen“ habe und dem Teilnehmer seine Reisekosten erstatten müsse.
Arbeitsfähigkeit des BR muss erhalten bleiben
Zur Begründung verwies die Kammer insbesondere auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes (u.a. BAG, 19.09.2001 – 7 ABR 32/00). Demnach ist die Entsendung eines Nachrückers zu einer Grundlagenschulung „nur unter besonderen Umständen“ erforderlich. Das gelte etwa, wenn der Betriebsrat „seine Arbeitsfähigkeit nicht durch andere ihm zumutbare und für den Arbeitgeber finanziell weniger belastende Maßnahmen gewährleisten kann“.
Da im Streitfall zum Zeitpunkt des Entsendebeschlusses aber ein Ausfall des regulären Mitgliedes von gut fünf Monaten in Rede stand und sich zudem dessen Reha – zu Hochzeiten der ersten Corona-Welle – terminlich hinzog, war eine „unverzügliche Schulungsteilnahme“ aus Sicht der Richter in diesem Fall „im Interesse der Aufrechterhaltung der Betriebsratsarbeit unumgänglich“. Hinzukomme, dass auch die beiden anderen Betriebsratsmitglieder erstmals gewählt und damit noch unerfahren waren. Das LAG deutlich: „Eine Wissensvermittlung durch sie schied damit aus.“
Überdies, so heißt es in der Entscheidung weiter, sei das Ersatzmitglied wegen des vorherigen krankheitsbedingten Ausfalls des ehemaligen Vorsitzenden „bereits mit dem Vertretungsfall in die Amtsstellung einrückt, was sich nicht allein auf die Teilnahme an Betriebsratssitzungen beschränkt, sondern jede Amtstätigkeit für den Betriebsrat einschließt“. Und das erfasse ggf. auch den Schulungsanspruch gemäß § 37 Abs. 6 BetrVG.
Beschluss des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 17.01.2022 (Az.: 16 TaBV 99/21).
Vorinstanz: Beschluss des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 06.05.2021 (Az.: 8 BV 16/20).
Praxistipp der Redaktion:
Die Entscheidung zeigt (erneut), dass Betriebsräte nicht chancenlos sind, wenn es um die Durchsetzung einer Grundlagenschulung oder ggf. auch anderer Seminare für Ersatzmitglieder geht. Wichtig ist jedoch – wie meistens – eine saubere Begründung, mit der die vom Gesetzgeber verlangte „Erforderlichkeit“ belegt wird. Als Faustregel kann hier gelten, dass die Chancen umso höher sind, je länger ein reguläres Mitglied ausfällt und je weniger Vorkenntnisse ansonsten im Gremium vorhanden sind. Weitere Informationen zum Thema finden angemeldete Leser*innen in unserem Leitfaden „Betriebsratsschulungen von A-Z“.