Die Pläne finden sich in Kapitel IV der Vereinbarung, das unter dem Titel „Respekt, Chancen und soziale Sicherheit in der modernen Arbeitswelt“ steht. Während einige Vorhaben darin schon sehr konkret benannt werden, gibt es zu anderen Themen im Koalitionsvertrag Ansätze und Absichtserklärungen. Das 177-seitige Papier muss nun noch von Parteitagen (SPD und FDP) bzw. in einer Mitgliederbefragung (Grüne) angenommen werden.
Wir dokumentieren die entsprechenden Passagen (kursiv und eingerückt) hier und zeigen auf, an welchen Stellen die Umsetzung der Pläne auch an andere Faktoren geknüpft ist:
Mindestlohn
„Wir werden den gesetzlichen Mindestlohn in einer einmaligen Anpassung auf zwölf Euro pro Stunde erhöhen. Im Anschluss daran wird die unabhängige Mindestlohnkommission über die etwaigen weiteren Erhöhungsschritte befinden.“
Hinweis: Auf internationaler Ebene möchten die Parteien zudem einen Vorschlag der EU-Kommission „für eine Richtlinie über angemessene armutsfeste Mindestlöhne zur Stärkung des Tarifsystems“ unterstützen.
(Flexible) Arbeitszeit und Zeiterfassung
„Wir halten am Grundsatz des 8-Stunden-Tages im Arbeitszeitgesetz fest. Im Rahmen einer im Jahre 2022 zu treffenden, befristeten Regelung mit Evaluationsklausel werden wir es ermöglichen, dass im Rahmen von Tarifverträgen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen und in einzuhaltenden Fristen ihre Arbeitszeit flexibler gestalten können.
Außerdem wollen wir eine begrenzte Möglichkeit zur Abweichung von den derzeit bestehenden Regelungen des Arbeitszeitgesetzes hinsichtlich der Tageshöchstarbeitszeit schaffen, wenn Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen, auf Grund von Tarifverträgen, dies vorsehen (Experimentierräume).“
Hinweis: Während Arbeitgeber und manche Beschäftigte ein hohes Interesse an flexibleren Arbeitszeiten haben, wird das Thema in Gewerkschaftskreisen z.T. mit Argwohn betrachtet. Dort plädiert man in diesem Zusammenhang dafür, Ausnahmen nur bei explizit tarifgebundenen Arbeitgebern zuzulassen.
„Im Dialog mit den Sozialpartnern prüfen wir, welchen Anpassungsbedarf wir angesichts der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Arbeitszeitrecht sehen. Dabei müssen flexible Arbeitszeitmodelle (z. B. Vertrauensarbeitszeit) weiterhin möglich sein.“
Hinweis: Gemeint ist hier eine Grundsatzentscheidung des EuGH von 2019, laut der EU-Mitgliedstaaten Arbeitgeber verpflichten müssen, „ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann“ (wir berichteten). Trotz einiger Entscheidungen von Arbeitsgerichten und juristischen Gutachten, die hier gesetzgeberischen Handlungsbedarf sehen, gibt es in Deutschland derzeit noch keine allgemeine Pflicht, jegliche Arbeitszeiten zu dokumentieren.
Arbeitsort und mobile Arbeit
„Homeoffice grenzen wir als eine Möglichkeit der Mobilen Arbeit rechtlich von der Telearbeit und dem Geltungsbereich der Arbeitsstättenverordnung ab. Arbeitsschutz, gute Arbeitsbedingungen und das Vorhandensein eines betrieblichen Arbeitsplatzes sind bei mobiler Arbeit wichtige Voraussetzungen.
(…)
Beschäftigte in geeigneten Tätigkeiten erhalten einen Erörterungsanspruch über mobiles Arbeiten und Homeoffice. Arbeitgeber können dem Wunsch der Beschäftigten nur dann widersprechen, wenn betriebliche Belange entgegenstehen. Das heißt, dass eine Ablehnung nicht sachfremd oder willkürlich sein darf. Für abweichende tarifvertragliche und betriebliche Regelungen muss Raum bleiben.“
Hinweis: Bislang gibt es für Beschäftigte keinen Anspruch auf mobiles Arbeiten.
Mini- und Midijobs
„Wir erhöhen die Midi-Job-Grenze auf 1.600 Euro. Künftig orientiert sich die Minijob-Grenze an einer Wochenarbeitszeit von 10 Stunden zu Mindestlohnbedingungen. Sie wird dementsprechend mit Anhebung des Mindestlohns auf 520 Euro erhöht.“
Hinweis: Bei Midi-Jobs zahlen die Arbeitnehmer geringere Beiträge zur Sozialversicherung. Mit der geplanten Änderung wollen die Ampelparteien eigenen Angaben zufolge „verhindern, dass Minijobs als Ersatz für reguläre Arbeitsverhältnisse missbraucht oder zur Teilzeitfalle insbesondere für Frauen werden“.
Befristungsrecht
„Damit der öffentliche Dienst als Arbeitgeber mit gutem Beispiel vorangeht, schaffen wir die nur dort bestehende Möglichkeit der Haushaltsbefristung ab. Beim Bund als Arbeitgeber reduzieren wir die sachgrundlose Befristung Schritt für Schritt.
Um Kettenbefristungen zu vermeiden, begrenzen wir mit Sachgrund befristete Arbeitsverträge beim selben Arbeitgeber auf sechs Jahre. Nur in eng begrenzten Ausnahmen ist ein Überschreiten dieser Höchstdauer möglich.“
Hinweis: Während Haushaltsbefristungen derzeit v.a. im Bildungs- und Hochschulsektor ein Problem darstellen, waren Kettenbefristungen in der freien Wirtschaft bislang quasi unbegrenzt möglich, solange jeweils ein „sachlicher Grund“ im Sinne des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) angeführt werden konnte (z.B. Schwangerschafts- oder Elternzeitvertretung). Wichtig: Von einer generellen Abschaffung sachgrundloser Befristungen wie sie die geschäftsführend amtierende Große Koalition 2018 eigentlich vereinbart hatte, ist im Vertrag der Ampelpartner keine Rede.
Tarifwesen
„Zur Stärkung der Tarifbindung wird die öffentliche Auftragsvergabe des Bundes an die Einhaltung eines repräsentativen Tarifvertrages der jeweiligen Branche gebunden, wobei die Vergabe auf einer einfachen, unbürokratischen Erklärung beruht.
Betriebsausgliederung bei Identität des bisherigen Eigentümers zum Zwecke der Tarifflucht werden wir verhindern, indem wir die Fortgeltung des geltenden Tarifvertrags sicherstellen. Unangetastet bleibt § 613a BGB (Rechte und Pflichten beim Betriebsübergang).“
Mitbestimmung und Strafen bei Union Busting
„Die Mitbestimmung werden wir weiterentwickeln. Betriebsräte sollen selbstbestimmt entscheiden, ob sie analog oder digital arbeiten.
Im Rahmen der verfassungsrechtlich gebotenen Maßstäbe werden wir Online-Betriebsratswahlen in einem Pilotprojekt erproben. Wir schaffen ein zeitgemäßes Recht für Gewerkschaften auf digitalen Zugang in die Betriebe, das ihren analogen Rechten entspricht.“
Hinweis: Digitale Betriebsratswahlen sind bislang nicht erlaubt. Auch ein virtuelles Zugangsrecht zum Betrieb, auf dessen Grundlage Gewerkschaften in Dialog mit Belegschaften treten könnten, gibt es zurzeit nicht explizit.
„Die Behinderung der demokratischen Mitbestimmung stufen wir künftig als Offizialdelikt ein.“
Hinweis: § 119 BetrVG regelt schon derzeit mögliche Sanktionen bei „Straftaten gegen Betriebsverfassungsorgane und ihre Mitglieder“. Dabei handelt es sich allerdings um ein sog. Antragsdelikt. Dies bedeutet, dass die Strafverfolgung nur dann erfolgt, wenn auch ein entsprechender Strafantrag gestellt wurde. Bei Offizialdelikten hingegen muss eine Staatsanwaltschaft von sich aus Ermittlungen einleiten, sobald sie Kenntnis von einer möglichen Straftat hat.
„Missbräuchliche Umgehung geltenden Mitbestimmungsrechts wollen wir verhindern. Die Bundesregierung wird sich dafür einsetzen, dass die Unternehmensmitbestimmung weiterentwickelt wird, sodass es nicht mehr zur vollständigen Mitbestimmungsvermeidung beim Zuwachs von SE-Gesellschaften kommen kann (Einfriereffekt).“
Hinweis: Diese Absichtserklärung bezieht sich auf die Tatsache, dass in vielen (großen) Firmen, die als Europäische Aktiengesellschaft (SE) organisiert sind, nicht die paritätische Mitbestimmung im Aufsichtsrat gilt.
Leiharbeit und Werkverträge
„Werkverträge und Arbeitnehmerüberlassung sind notwendige Instrumente. Strukturelle und systematische Verstöße gegen Arbeitsrecht und Arbeitsschutz verhindern wir durch effektivere Rechtsdurchsetzung. So sorgen wir auch für mehr Sicherheit bei Arbeit auf Abruf.“
Hinweis: Saisonbeschäftigte sollen künftig „ab dem ersten Tag“ vollen Krankenversicherungsschutz bekommen.
Arbeits- und Gesundheitsschutz
„Insbesondere der psychischen Gesundheit widmen wir uns intensiv und erarbeiten einen Mobbing-Report. Vor allem kleine und mittlere Unternehmen unterstützen wir bei Prävention und Umsetzung des Arbeitsschutzes. Das betriebliche Eingliederungsmanagement stärken wir.“
Hinweis: Was hier konkret angedacht ist, bleibt derzeit unklar. Festgelegt hat sich die Ampel hingegen bereits darauf, die ILO Konvention Nr. 190 über die Beseitigung von Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt ratifizieren zu wollen.
Rente, Altersvorsorge und Einwanderung
„Wir werden daher die gesetzliche Rente stärken und das Mindestrentenniveau von 48 Prozent (Definition vor der kürzlich durchgeführten Statistikrevision) dauerhaft sichern. In dieser Legislaturperiode steigt der Beitragssatz nicht über 20 Prozent. Es wird keine Rentenkürzungen und keine Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters geben.“
Hinweis: Zur Finanzierung möchte man „in eine teilweise Kapitaldeckung der Gesetzlichen Rentenversicherung einsteigen“. Bereits 2022 soll dazu ein „Kapitalstock“ von 10 Mrd. EUR bereitgestellt werden, wobei man der Deutschen Rentenversicherung ermöglichen möchte, „ihre Reserven am Kapitalmarkt reguliert anzulegen“.
„Die umlagefinanzierte Rente wollen wir durch die Erwerbsbeteiligung von Frauen und älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie die erwerbsbezogene und qualifizierte Einwanderung stärken.“
Ausbildung
„Wir wollen eine Ausbildungsgarantie, die allen Jugendlichen einen Zugang zu einer vollqualifizierenden Berufsausbildung ermöglicht, stets vorrangig im Betrieb.“
Hinweis: Was das konkret bedeutet und wie das finanziert und organisiert werden soll, muss sich zeigen.
Weiterbildung
„Wir verbessern Möglichkeiten für berufliche Neuorientierung, Aus- und Weiterbildung – auch in Teilzeit. Die Instrumente der Bildungspolitik und der aktiven Arbeitsmarktpolitik stimmen wir aufeinander ab.“
Hinweis: Geplant sind u.a. ein „Lebenschancen-BAföG“ sowie eine „Bildungs(teil)zeit“, die „finanzielle Unterstützung für arbeitsmarktbezogene Weiterbildungen“ (Berufsabschluss nachholen oder neue Qualifikationen erwerben) bieten sollen.
„Bei beruflicher Qualifizierung erhalten SGB II- und III-Leistungsberechtigte ein zusätzliches, monatliches Weiterbildungsgeld von 150 Euro, sodass ein wirksamer Anreiz zur Weiterbildung entsteht. Nach einer Weiterbildung soll mindestens ein Anspruch auf drei Monate Arbeitslosengeld bestehen.“
Bürgergeld statt Grundsicherung (ehemals Hartz IV)
„Anstelle der bisherigen Grundsicherung (Hartz IV) werden wir ein Bürgergeld einführen.“
Hinweis: Während zur Höhe der Leistungen keine Aussagen getroffen werden, soll der Bezug künftig während der ersten zwei Jahre „ohne Anrechnung des Vermögens“ möglich sein. Zudem will man das Verfahren entbürokratisieren.
„Für Menschen in Arbeitslosigkeit und in der Grundsicherung weiten wir die eigenständige Förderung von Grundkompetenzen aus und stellen klar, dass die Vermittlung in Arbeit keinen Vorrang vor einer beruflichen Aus- und Weiterbildung hat, die die Beschäftigungschancen stärkt.“