Übt ein Betriebsrat nach einer Betriebsstilllegung noch ein Restmandat aus, kann er auch bei groben Verletzungen seiner gesetzlichen Pflichten nicht in Gänze aufgelöst werden. Weiterhin möglich ist es laut einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts aber, ein einzelnes Mitglied des Gremiums wegen besonders schwerer Verfehlungen auszuschließen (Az.: 7 ABR 21/21).

In dem Fall ging es um einen Gemeinschaftsbetrieb zweier Unternehmen aus der Automobilzulieferungsbranche, in dem (zuvor) gut 270 Arbeitnehmer beschäftigt waren. Nachdem deren Konzernobergesellschaft im Frühjahr 2018 entschieden hatte, den Geschäftsbetrieb am sauerländischen Standort zu Ende April 2019 einzustellen, nahmen die Betriebsparteien Verhandlungen über einen Interessenausgleich auf. Die aber scheiterten trotz Einigungsstellenverfahren im Oktober. Der Arbeitgeber hörte daraufhin den Betriebsrat zur geplanten Entlassung sämtlicher Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an und sprach – trotz Widerspruch des Gremiums – die entsprechenden Kündigungen aus.

Daten an Anwälte weitergeleitet

Mitte Dezember soll der Betriebsratsvorsitzende dann eine E-Mail an verschiedene Rechtsanwaltskanzleien verschickt haben, die Arbeitnehmer in mittlerweile anberaumten Kündigungsschutzprozessen vertraten. Darin wurde u.a. ein Link versendet, mit dem die Empfänger ohne weiteres Passwort auf umfangreiche Unterlagen (über 920 Seiten; 150 MB) auf einem Cloudserver zugreifen konnten. Die Dokumente – neben einer Liste mit Namen und Entgeltgruppen sämtlicher im Gemeinschaftsbetrieb beschäftigter Arbeitnehmer auch Vertragsangebote für mögliche Jobs an anderer Stelle im Konzern, E-Mails, Schriftsätze, behördlichen Bescheide, Präsentationen u.a. – waren zudem anhand einer Ordnerstruktur systematisiert worden. Das sollte offenbar dazu dienen, die Gekündigten zu unterstützen und dem Verdacht nachzugehen, die Arbeitgeber hätten eigentlich einen Betriebsteilübergang vorgenommen. Die Anwälte seien dabei zur Verschwiegenheit verpflichtet.

Als die Arbeitgeberseite davon erfuhr, beantragte sie die Auflösung des Betriebsrats, da dieser massiv gegen Datenschutzvorgaben, seine gesetzlichen Pflichten und das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit verstoßen habe. Außerdem sei versucht worden, das Unternehmen extern zu diskreditieren.

Alleingang oder Schuld des gesamten Gremiums?

Die Arbeitnehmervertreter wiesen das zurück und betonten, die Aktion sei nie vom Gremium beschlossen worden. Der Vorsitzende habe die anderen Mitglieder erst im Nachhinein über sein Vorgehen informiert. Zudem könne ein Betriebsrat im Restmandat ohnehin nicht mehr aufgelöst werden.

Während das Arbeitsgericht dem Auflösungsantrag stattgegeben hatte, folgte das Landesarbeitsgericht der Rechtsauffassung des Betriebsrats. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde hatte nur zum Teil Erfolg. Wie der Siebte Senat entschied, kann ein Betriebsrat „nicht wegen grober Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten aufgelöst werden, wenn er nach dem Untergang des Betriebs nur noch ein Restmandat innehat“.

Keine Neuwahl mehr möglich

Grund dafür sei u.a., dass „Sinn und Zweck“ von § 23 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BetrVG „deutlich für eine Unanwendbarkeit der Vorschrift auf den restmandatierten Betriebsrat“ sprächen. So sehe das Gesetz für den Fall einer Auflösung des Gremiums gemäß § 23 Abs. 2 BetrVG vor, dass das Arbeitsgericht einen Wahlvorstand zu bestellen hat. Diese Intention aber laufe „nach der Auflösung eines Betriebsrats im Restmandat von vornherein ins Leere, denn mangels (Fort-)Bestehens eines Betriebs kommt eine Neuwahl des Betriebsrats nicht in Betracht „. Zudem solle eine etwaige Auflösung der Arbeitnehmervertretung bei schweren Pflichtverletzungen betriebsverfassungskonformes Handeln „für die Zukunft sicherstellen, nicht aber vergangenes Verhalten bestrafen“. Und auch das greife hier mangels Zukunft des Betriebes nicht.

Möglich sei deshalb, so das BAG, in dieser Situation „der Ausschluss eines Mitglieds aus dem Betriebsrat wegen grober Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten in dem Sinn, dass es von der Wahrnehmung des Restmandats ausgeschlossen ist“. Das Landesarbeitsgericht müsse daher nun noch einmal prüfen, ob die Vorgänge rund um den E-Mail-Versand wirklich allein dem Betriebsratsvorsitzenden zuzurechnen sind und tatsächlich seinen Ausschluss aus dem Gremium rechtfertigen.

Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 24.05.2023 (Az.: 7 ABR 21/21).

Vorinstanzen:

  • Beschluss des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 18.06.2021 (Az.: 13 TaBV 12/20).
  • Beschluss des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 14.01.2020 (Az.: 2 BV 5/19).

Info

§ 21b BetrVG (Restmandat) besagt:

„Geht ein Betrieb durch Stilllegung, Spaltung oder Zusammenlegung unter, so bleibt dessen Betriebsrat so lange im Amt, wie dies zur Wahrnehmung der damit im Zusammenhang stehenden Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte erforderlich ist.“

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