Die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder sinkt stetig: innerhalb von zwei Dekaden von 7,8 Millionen auf knapp 5,9 Millionen. Ein Rückgang mit Folgen für die Selbstorganisation der Arbeitsbedingungen. Dies sehen Staats- und Arbeitsrechtler mit Sorge und haben ein Konzept entwickelt, wonach sich die Mitgliedschaft für Gewerkschafter auszahlen soll. Das berichtet das Handelsblatt.

Das Prinzip ist bekannt: Nicht nur die organisierten Beschäftigten profitieren von besseren Bedingungen und höheren Löhnen und Gehältern, die die Gewerkschaften aushandeln, sondern alle Arbeitnehmer – eben auch die so genannten weiblichen wie männlichen Trittbrettfahrer.

Das hat Folgen: Seit Jahren sinkt im Osten wie im Westen die Tarifbindung (wir berichteten, 25.05.2021, „IAB-Betriebspanel: Anhaltender Abwärtstrend bei Tarifbindung und betrieblicher Mitbestimmung“). In Betrieben mit einem Tarifvertrag arbeiten im Westen 53 Prozent der Beschäftigten, im Osten sind es mit 43 Prozent noch deutlich weniger.

Diese Entwicklung gibt Professor Olaf Deinert von der Universität Göttingen zu denken. Der Lehrstuhlinhaber für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht weist im Handelsblatt darauf hin, dass sich der Staat umso mehr um die Arbeitsbedingungen kümmern müsse, je weniger in Tarifverträgen geregelt werde. Die Selbstorganisation am Arbeitsmarkt hänge schließlich von starken Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden ab. Für den Juristen Deinert ist deshalb die Frage, „welche Anreize man setzen kann, damit die Betroffenen sich wieder stärker organisieren“.

Vorteile auch für den Staat?

Diese Frage hat eine Antwort gefunden, die Professor Deinert gemeinsam mit neun weiteren Staats- und Arbeitsrechtlern entwickelt hat. Die Grundidee lautet: Mitglieder von Gewerkschaften sollten dafür belohnt werden, dass sie sich organisieren. Dies ist grundsätzlich nach der Rechtsprechung durch Differenzierungsklauseln möglich, doch die Arbeitgeber machen davon eher keinen Gebrauch. Sie gewähren vielmehr der ganzen Belegschaft die jeweils ausgehandelten Vorteile, um nicht Beschäftigte in die Arme der Gewerkschaft zu treiben, wie es das Handelsblatt formuliert.

Deshalb schlagen die Juristen die Aufnahme so genannter Spannenklauseln in das Tarifvertragsgesetz vor. Würden diese als zulässig erklärt, was bisher nicht der Fall ist, dann müssten Arbeitgeber, die allen Mitarbeiter die tariflichen Rechte bewilligen, den organisierten Arbeitenden ein Extra gewähren.

Um das Konzept verfassungsrechtlich abzusichern, wird vorgeschlagen, „die Grenzen für eine Besserstellung von Gewerkschaftsmitgliedern zu definieren“. Noch angemessen sollten danach Vorteile sein, „die maximal dem Doppelten des Mitgliedbeitrags der Gewerkschaft entsprechen“.

Das Konzept kommt nicht ganz ohne einen Wermutstropfen aus, weiß Professor Deinert. Wird im Lohnbüro unterschieden nach Mitgliedschaft ja oder nein in einer Gewerkschaft, „dann kann der Arbeitgeber sehen, wie stark die Gewerkschaft in seinem Betrieb ist“.

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