Kitas, Krankenhäuser, Verkehrsbetriebe: Arbeitskämpfe sollen erschwert werden, wenn erhebliche Konsequenzen für die Allgemeinheit bestehen. Das fordern Rechtsprofessoren in einem Gesetzentwurf, den sie am Montag (19.03.2012) veröffentlicht haben. „Abenteuerlich“, findet das Verdi.
Ob Kinderbetreuung, medizinische Pflege, öffentlicher Nahverkehr oder die Versorgung mit Energie, Wasser und Bargeld: Wenn Beschäftigte von Unternehmen der so genannten Daseinsvorsorge ihre Arbeit niederlegen, bekommen das weite Teile der Bevölkerung zu spüren. Und auch volkswirtschaftlich betrachtet, können Arbeitskämpfe in diesen Bereichen erheblichen Schaden verursachen. Gründe genug, um spezielle Regeln für Arbeitskämpfe in der Daseinsvorsorge zu schaffen, wie eine Gruppe von Rechtsprofessoren meint. Im Auftrag der Carl-Friedrich-von-Weizsäcker-Stiftung haben sie einen entsprechenden Gesetzentwurf erarbeitet.
Notversorgung soll erhalten bleiben
Danach sollen Streiks in Unternehmen der Daseinsvorsorge nur noch dann zulässig sein, wenn diese mindestens vier Tage zuvor angekündigt wurden. Darüber hinaus müsse trotz Arbeitskampf die Grundversorgung der Bevölkerung sichergestellt sein. Wie diese Grundversorgung im Einzelnen aussieht, könnten die Arbeitskampfparteien selbst bestimmen. Sind sie dazu nicht in der Lage, soll eine Einigungsstelle entscheiden, welche Notversorgung gewährt werden muss. Diese Entscheidung wäre dann verbindlich für beide Parteien.
Weitere Hürden für Streiks
Eine Urabstimmung soll eine weitere Voraussetzung für einen Arbeitskampf in der Daseinsvorsorge sein. An dieser müssten sich mehr als die Hälfe aller teilnahmeberechtigten Mitglieder der Gewerkschaft beteiligen. Von diesen müssten wiederum mehr als 50 Prozent der Arbeitskampfmaßnahme zustimmen. Außerdem wären Arbeitskämpfe unzulässig, wenn ihr Ziel weniger als 15 Prozent der Mitarbeiter in einem Betrieb oder einer Branche betrifft.
Wie der Arbeitsrechtler Martin Franzen sagte, soll die 15-Prozent-Quote verhindern, dass „kleine und besonders streikmächtige Arbeitnehmergruppen Sondervorteile für sich erstreiken, die anderen Arbeitnehmergruppen nicht zugutekommen sollen.“ Arbeitskämpfe wie der Streik der Vorfeldlotsen am Flughafen Frankfurt/Main von 2012 wären dann nicht mehr möglich.
Der Bonner Arbeitsrechtler Gregor Thüsing wies darauf hin, dass sich „Arbeitskämpfe im Bereich der Daseinsvorsorge erheblich von anderen unterscheiden.“ Die Allgemeinheit sei hier unmittelbar nachteilig betroffen. Daher seien Unternehmen in diesem Bereich dazu verpflichtet, die Leistungen im Interesse der Bürger soweit wie möglich aufrechtzuerhalten. Gesetzliche Veränderungen seien aber auch notwendig, da nicht nur die Zahl kleiner Spartengewerkschaften zunehme, sondern auch die Konfliktbereitschaft. Außerdem existierten heute immer öfters mehrere unterschiedliche Tarifverträge in einem Betrieb nebeneinander.
Verdi: Angriff auf Grundrechte
Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) wies den Gesetzesentwurf umgehend scharf zurück. Vorstandsmitglied Dina Bösch sagte, es sei „geradezu abenteuerlich“, dass ausgerechnet Jura-Professoren auf eine solche Idee kommen. Schließlich würde ein solches Gesetz Grundrechte von Millionen Arbeitnehmern des öffentlichen Dienstes und der öffentlichen Daseinsvorsorge einschränken. Eine gesetzliche Einschränkung des Streikrechts werde auf den entschiedenen Widerstand der betroffenen Beschäftigten und ihrer Gewerkschaft stoßen. „Ein Zwei-Klassen-Streikrecht ist völlig inakzeptabel“, so Bösch.
Die Autoren des Gesetzentwurfs betonen hingegen, dass dieser die Vorgaben des Grundgesetzes einhalte. Auch sehen sie weite Teile der Bevölkerung auf ihrer Seite. Laut einer Allensbach-Umfrage vom Mai 2011 befürworten knapp 72 Prozent der Deutschen Einschränkungen oder sogar ein Verbot von Streiks bei Krankenhausmitarbeitern. Im Luftverkehr und bei der Bahn spricht sich mit 60 Prozent immer noch eine große Mehrheit für ein Streikverbot oder zumindest ein eingeschränktes Streikrecht aus.
Droht zusätzliche Gefahr aus Brüssel?
Einen Versuch das Streikrecht auszuhöhlen, sieht die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) auch aus Brüssel. Wie die Gewerkschaft mitteilte, plant die EU-Kommission, die Rechtmäßigkeit von Tarifforderungen und Streiks davon abhängig zu machen, ob diese verhältnismäßig sind. Die Verhältnismäßigkeit soll demnach von Gerichten geprüft werden.
Die IG BAU sieht die Gefahr, dass künftig nur noch Mindeststandards gelten. Schließlich gingen die meisten Tarifforderungen über den reinen Mindestschutz der Arbeiter hinaus. Wenn Brüssel seine Pläne wirklich umsetzen sollte, könne es keinen sozialen Fortschritt mehr geben, sagte der IG BAU-Bundesvorsitzende Klaus Wiesehügel. Er rief EU-Kommissionspräsident Manuel Barroso dazu auf, seine Behörde zurückpfeifen.
Externer Link: Den Gesetzentwurf der Rechtsprofessoren können Sie hier nachlesen.
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