Verschickt der Wahlvorstand bei einer Betriebsratswahl die Briefwahlunterlagen an mehr als 90 Prozent der Wahlberechtigten inklusive Werbung für eine Kandidatenliste, hat er seine Pflicht zur Neutralität verletzt und gegen § 20 Abs. 2 BetrVG verstoßen. So entschied das Arbeitsgericht Stuttgart (Beschluss vom 29.01.2019, Az. 17 BV 111/18). Die Regelung besagt, dass niemand die Wahl des Betriebsrats beeinflussen darf.
Der Betriebsrat erkannte in diesem Beschluss „eine Verletzung des materiellen Rechts“. Er hatte argumentiert dass, „Wahlwerbung, die vom Arbeitgeber oder dem Betriebsrat zugunsten einzelner Wettbewerber getätigt werde“, nicht gleichgesetzt werden könne mit einer verbotenen Beeinflussung der Wahl, „da die Begünstigten nicht Adressat des Beeinflussungsversuchs seien“.
In seiner Rechtsbeschwerde vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg verwies der Betriebsrat auch darauf, dass „keine Vor- oder Nachteile angedroht worden“ seien. Aus der Perspektive der Arbeitnehmervertretung handelte es sich bei dem Schreiben, das den Briefwahlunterlagen beigefügt war, „um einen bloßen Wahlaufruf mit neutraler Vorstellung der beiden zur Wahl stehenden Listen“ und nicht um Wahlwerbung. Insbesondere habe der Wahlvorstand „keine Benachteiligungsabsicht“ gehabt.
Das ließ das LAG nicht gelten: Die Unwirksamkeit der Betriebsratswahl wurde von den Richtern auch damit unterstrichen, dass auf der den Unterlagen beigelegten Liste ein Mann als Kandidat genannt wurde, der „wegen einer strafgerichtlichen Verurteilung nicht wählbar“ gewesen wäre. Dieser Kandidat wurde gewählt und später stellvertretender Betriebsratsvorsitzender. Für den Beschluss der LAG-Richter war unerheblich, dass dieser Mann inzwischen von seinem Betriebsratsamt zurückgetreten ist.
Insgesamt schloss sich die Kammer zweitinstanzlich der Entscheidung des Arbeitsgerichts an, da diese „zu Recht“ erfolgt sei und erklärte die Betriebsratswahl ebenfalls für unwirksam. Das Gericht wies in seiner Entscheidung unter anderem darauf hin, dass durch das gemeinsame Versenden von Wahlunterlagen plus einer Kandidatenliste „ein pseudooffizieller Anstrich“ erfolgt sei.
Dies sei „eine gleichheitswidrige Bevorzugung“ der beigefügten Liste, als „eine unzulässige Vorteilsgewährung“. Insgesamt erkannte das LAG einen Wahlrechtsverstoß, der geeignet war, das Wahlergebnis zu beeinflussen. Auch sei nicht auszuschließen, dass die Betriebsratswahl ohne diese Wahlwerbung ein anderes Ergebnis gehabt hätte.
Nicht anfechtbare Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 27.11.2019 (Az.: 4 TaBV 2/19).