Im Juni 2011 ist in Deutschland das neue Europäische Betriebsräte-Gesetz (EBRG) in Kraft getreten. Während Arbeitnehmervertretungen in Frankreich und Belgien bereits erweiterte Mitspracherechte vor Gericht durchgesetzt haben, scheiterte der Europäische Betriebsrat (EBR) des US-Automobilzulieferers Visteon vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) in Köln mit dem Versuch, die Stilllegung eines spanischen Werks per einstweiliger Verfügung zu verhindern. Läuft die Umsetzung der EU-Richtlinie in Deutschland ins Leere?

Mit der Neufassung des Gesetzes über Europäische Betriebsräte wurde im Juni 2011 eine EU-Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt. Unter anderem spricht das Gesetz Europäischen Betriebsräten in europaweit tätigen Unternehmen und Unternehmensgruppen das Recht auf Information und Anhörung zu. Insbesondere bei außergewöhnlichen Umständen wie der Verlegung oder Stilllegung wesentlicher Betriebsteile muss der Europäische Betriebsrat seitens des Arbeitgebers rechtzeitig unterrichtet und auf Verlangen auch angehört werden.

Einstweilige Verfügung soll Betriebsstilllegung in Spanien verhindern

In diesem Recht sah sich der in Köln ansässige Europäische Betriebsrat des US- US-Automobilzulieferers Visteon verletzt. Am 23. Juni 2011 hatte die zentrale Firmenleitung bekannt gegeben, einen Betrieb in Spanien schließen zu wollen. Allerdings legte die Leitung schriftliche Unterlagen zu diesen Plänen erstmals auf einer vom EBR einberufenen Sondersitzung im Rahmen einer Power Point Präsentation vor. Um die Firmenleitung von einer Stilllegung des spanischen Betriebes vor der Anhörung des Betriebsrates und der Prüfung möglicher Alternativen abzuhalten, beantragte der EBR eine einstweilige Verfügung.

Danach sollte es die Unternehmensleitung unterlassen, in ihren europäischen Betrieben Stilllegungen durchzuführen, ohne zuvor den Europäischen Betriebsrat zu informieren und zu konsultieren. Hilfsweise wurde beantragt, weder das Werk in Spanien stillzulegen, noch betriebsbedingte Kündigungen oder Änderungskündigungen gegenüber den beschäftigten Arbeitnehmern in dem betreffenden spanischen Werk zu erklären oder Gespräche mit Arbeitnehmern aus diesem Werk über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisse oder eine künftige Weiterbeschäftigung in anderen Werken zu führen, ohne den EBR zuvor zu informieren und zu konsultieren. Auch beantragte der EBR, dem Unternehmen „für den Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld in einer Höhe nach Ermessen des Gerichts anzudrohen.“

Verstöße ja – Unterlassungsanspruch nein

Zwar kam das Landesarbeitsgericht Köln zu dem Ergebnis, dass die Unterrichtungs- und Anhörungsrechte des EBR verletzt worden sind und die Informationen der zentralen Leitung nicht den Anforderungen an eine Unterrichtung und Anhörung im Sinne des Europäischen Betriebsräte-Gesetzes genügten. Dennoch sei der Unterlassungsantrag unbegründet, da es an einem Verfügungsanspruch fehle. Zur Begründung führten die Richter aus, dass das Europäische Betriebsräte-Gesetz als Sanktion für den Verstoß gegen die Unterrichtungs- und Anhörungsrechte des Europäischen Betriebsrats lediglich ein Bußgeld vorsehe. Es fehle eine mit § 23 Abs. 3 BetrVG vergleichbare Vorschrift, nach der dem Betriebsrat bei groben Verstößen des Arbeitgebers ein Unterlassungsanspruch zusteht.

Rechtsstreit mit hoher Brisanz

Für das Hamburger Trainings- und Beratungsnetz „euro-betriebsrat.de“ hat dieser Rechtsstreit eine hohe Brisanz. Der Beschluss des Kölner LAG werfe die Frage auf, ob das deutsche EBR-Gesetz überhaupt konform zu der EU-Richtlinie sei. Provokativ heißt es in einer Veröffentlichung, ob der deutsche Gesetzgeber die Vorgaben der EG-Richtlinie etwa überlesen habe. Schließlich stelle sich die Frage, „ob eine EU-Richtlinie in Deutschland ins Leere laufen kann, während genau die gleiche Richtlinie in Frankreich oder Belgien nachhaltig sichergestellt wird.“

Laut Euro-Betriebsrat-Netzwerk ist dieser Rechtsstreit gleich doppelt einmalig. Zum einen habe es seit Verabschiedung der EBR-Richtlinie im Jahr 1994 kein vergleichbares Gerichtsverfahren hierzulande gegeben, das mit einer Entscheidung endete.

Zum anderen sei dies die erste gerichtliche Auseinandersetzung in ganz Europa seit Inkrafttreten der neuen EBR-Gesetze. Sollte die Klage tatsächlich bis zum Europäischen Gerichtshof (EuGH) gelangen, hätte dies nach Meinung des Netzwerkes Auswirkungen auf alle EU-Länder – auch auf solche, die noch weit zurückhaltender mit Beteiligungsrechten von Betriebsräten umgehen wie zum Beispiel das Vereinigte Königreich.

Ticken in Köln die Uhren anders?

In seinem Beschluss verweist das Landesarbeitsgericht Köln übrigens darauf, es werde in der Literatur nur vereinzelt die Meinung vertreten, nach der die für das Betriebsverfassungsrecht entwickelten Grundsätze zum Unterlassungsanspruch auf das Europäische Betriebsräte-Gesetz übertragen werden müssten. Einer, der diese Meinung vertritt, ist der Arbeitsrechtler Professor Dr. Wolfgang Däubler.

Im Interview mit dem Euro-Betriebsrat-Netzwerk verpasst Däubler den Kölner Richtern eine Ohrfeige. Das Gericht habe nicht erkannt, was Unterrichtung und Anhörung nach neuem Recht wirklich bedeuten. Nach Auffassung der meisten Arbeitsgerichte dürfe der Arbeitgeber bei Verhandlungen über den Interessenausgleich keine vollendeten Tatsachen schaffen, sonst könne man ihm das durch einstweilige Verfügung verbieten lassen. Beim Europäischen Betriebsrat müsse dasselbe gelten – so wie in Frankreich und Belgien. „Aber in Köln sind die Uhren noch nicht umgestellt“, so Däubler.

Beschluss des LAG Köln vom 08.09.2011 (Az.: 13 Ta 267/11).

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