Von ursprünglich 8,50 Euro über 9,60 Euro bis auf derzeit 12 Euro entwickelte sich der 2015 eingeführte gesetzliche Mindestlohn bislang. Das seien deutliche Fortschritte, aber kein Grund sich zurückzulehnen, schreiben die Experten des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) und des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK).
Insbesondere verweisen die Autoren auch darauf, dass hierzulande die in der EU-Mindestlohnrichtlinie (Richtlinie (EU) 2022/2041) genannten Referenzwerte noch nicht erreicht seien. Die Referenzwerte liegen bei 50 Prozent des durchschnittlichen Lohns (= 13,16 €) oder bei 60 Prozent des Medianlohns (= 13,53 €).
Mindestlohn hat Arbeitsmarkt nicht geschadet
In der Analyse fassen die Arbeitsmarktexperten die bisherigen Erfahrungen mit der gesetzlichen Lohnuntergrenze zusammen. Nicht zuletzt verweisen sie auf die von vielen befürchteten negativen Konsequenzen durch den Mindestlohn für den Arbeitsmarkt: Diese sind ausgeblieben.
Die letzte Erhöhung auf 12 Euro haben den Minijobberinnen und Minijobbern monatlich 50 Euro mehr gebracht, den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten durchschnittlich ein Plus von 100 Euro. In der Stellungnahme verweisen die Wissenschaftler zudem darauf, dass diese gesetzliche Untergrenze „Tarifverhandlungen in Niedriglohnbranchen keineswegs überflüssig gemacht habe“.
Mit Blick auf die Inflation konstatieren die Experten, dass Beschäftigte mit einem niedrigen Einkommen härter getroffen werden als Besserverdienende. Die Erhöhungen des Mindestlohns der Vergangenheit reichten nicht aus, um das Leben finanzieren zu können oder gar um Altersarmut zu vermeiden.
Bislang wurde der Mindestlohn mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung an die Tariflöhne angehoben. Mit der jüngsten Erhöhung auf 12 Euro bewege sich der Mindestlohn erstmals Richtung Niedriglohnschwelle, die bei 12,50 Euro liege.
Richtlinie muss bis 2024 umgesetzt werden
Um „die Angemessenheit der Mindestlöhne“ zu verbessern, schlagen die Arbeitsmarktforscher vor, die Kriterien der neuen EU-Richtlinie zum Mindestlohn, die im Oktober 2022 verabschiedet worden ist, in das deutsche Mindestlohngesetz zu übernehmen.
Nach der EU-Richtlinie soll der Mindestlohn Armut trotz Arbeit möglichst verhindern, den sozialen Zusammenhalt stärken, soziale Aufstiege erleichtern und das geschlechtsspezifische Lohngefälle verringern. Angemessen ist danach ein Mindestlohn, der die Preissteigerungen ebenso beachtet wie das allgemeine Lohnniveau, die Lohnverteilung, die Wachstumsrate der Löhne oder die langfristige Entwicklung der Produktivität. Die Richtlinie muss von den Mitgliedsstaaten bis Oktober 2024 umgesetzt werden.
Der WSI Policy Brief Nr. 75 „Europäische Mindestlohnrichtlinie schafft neue Spielräume für eine Weiterentwicklung des deutschen Mindestlohngesetzes“, die gemeinsame Stellungnahme von IMK und WSI anlässlich der schriftlichen Anhörung der Mindestlohnkommission 2023, steht auf Mausklick zum Download zur Verfügung.