In einem Auslieferungslager im niedersächsischen Winsen (Luhe) arbeiten die Beschäftigten in einigen Bereichen mit Handscannern. Diese erheben ununterbrochen bestimmte Leistungsdaten der Mitarbeitenden. Die erfassten Daten werden ausgewertet und dienen – so die Beklagte – überwiegend der Steuerung logistischer Prozesse. So gewonnene Informationen werden zudem als Grundlage für Qualifizierungen, für Mitarbeiter-Feedback und für Personalentscheidungen verwendet.
Die Datenschutzbeauftragte untersagte dem Logistikdienstleister im Oktober 2020 „aktuelle und minutengenaue Quantitäts- und Qualitätsdaten ihrer Beschäftigten ununterbrochen zu erheben und diese zur Erstellung von Quantitätsleistungs- und Qualitätsleistungsprofilen sowie für Feedbackgespräche und Prozessanalysen zu nutzen“. Aus Sicht der Datenschutzbeauftragten verstößt die ununterbrochene Erhebung von Beschäftigtendaten gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen und ist rechtswidrig.
Firma oder Arbeitnehmer: Wessen Interessen wiegen schwerer?
Gegen die Auslegung der Datenschutzbeauftragten wendete sich Amazon mit einer Klage vor dem Verwaltungsgericht (VG) Hannover. Das Unternehmen führte aus, es „verstoße nicht gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen“. Vielmehr habe es „ein berechtigtes Interesse“ an der Datenerhebung und Datenverarbeitung. Beispielweise würden „individuelle Leistungswerte“ kurzfristig beim Steuern der Logistikprozesse benötigt, „um auf Schwankungen in einzelnen Prozesspfaden durch Verschiebungen reagieren zu können“. So sei es auch bei den Leistungswerten der Mitarbeitenden. Auf diese könnte kurzfristig durch Umverteilung reagiert werden. Mittelfristig würden die individuellen Leistungswerte bei der flexiblen Einsatzplanung berücksichtigt werden.
Die Firma argumentierte zudem damit, dass „diese Vorgehensweise die Schaffung objektiver und fairer Bewertungsgrundlagen für Feedback und Personalentscheidungen“ ermögliche. Die Beschäftigten würden dadurch ein „objektives und individuell leistungsbezogenes Feedback“ erhalten.
Die 10. Kammer des Verwaltungsgerichts Hannover verhandelte den Fall in öffentlicher Sitzung im Logistikzentrum selbst und besichtigte an diesem Tag das sogenannte Fulfillment-Center, in dem die Handscanner eingesetzt werden. Das Gericht hat der Klage stattgegeben und den angefochtenen Bescheid der Beklagten aufgehoben.
Dabei folgte die Kammer der Argumentation des Logistikers, dass die mittels der Handscanner erfassten Daten sowohl für das Steuern der Logistikprozesse als auch für die „Steuerung der Qualifizierung und Schaffung von Bewertungsgrundlagen für individuelles Feedback und Personalentscheidungen“ erforderlich sind.
Hierzulande existiere – noch – kein Gesetz zur Regelung des Beschäftigtendatenschutzes. Entsprechend richte sich dieser nach § 26 Bundesdatenschutzgesetz. „Danach dürften personenbezogene Daten von Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses verarbeitet werden, wenn dies für die Durchführung des Beschäftigtenverhältnisses oder die Beendigung erforderlich sei.“
Die Verwaltungsrichter wogen die Interessen der Klägerin wie der Beklagten ab und entschieden zu Gunsten der Klägerin. Bei der Entscheidung wurde berücksichtigt, dass die Daten der Beschäftigten nicht heimlich erhoben werden, „die Beschäftigten die Datenerhebung vielmehr vorhersehen könnten“. Auch seien die Mitarbeitenden darüber informiert, dass die Daten für logistische Prozesse benötigt werden. Mit Verweis darauf, dass keine Verhaltenskontrolle, sondern eine Leistungskontrolle stattfinde und die Privatsphäre unangetastet bleibe, hat das Gericht der Klage von Amazon stattgegeben.
Berufung kann eingelegt werden.
Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover vom 09.02.2023 (Az.: 10 A 6199/20).
Datenschutzbeauftragte sieht Handlungsbedarf beim Gesetzgeber
Barbara Thiel, die niedersächsische Landesbeauftragte für den Datenschutz, sieht in einer Mitteilung zu der Entscheidung bei diesem Thema den Gesetzgeber in der Pflicht: „Die Grenzen einer Datenverarbeitung von Beschäftigten müssen gesetzlich klar festgelegt werden““. Zudem bekräftigte sie ihre Sicht, dass das wirtschaftliche Interesse des Unternehmens nicht höher wiege als das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Beschäftigten – eher im Gegenteil. Für sie ist der Anpassungs- und Leistungsdruck der Mitarbeitenden durch die minutengenaue Leistungsdatenerhebung höher zu bewerten als die ökonomischen Belange des Arbeitgebers.