Im strittigen Fall hatten Betriebsrat und Arbeitgeber im Jahr 2018 eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit geschlossen. Darüber hinaus verhandelten sie über eine entsprechende Vereinbarung zur Zeiterfassung, kamen hier jedoch zu keinem Konsens. Auf Antrag des Betriebsrats setzte das Arbeitsgericht (ArbG) Minden daraufhin eine Einigungsstelle zum Thema ein. Der Arbeitgeber rügte deren Zuständigkeit, woraufhin der Betriebsrat das Beschlussverfahren einleitete. Er wollte festgestellt wissen, dass ihm ein Initiativrecht zur Einführung eines elektronischen Zeiterfassungssystems zusteht.
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm hat dem Antrag stattgegeben (wir berichteten). Die darauf folgende Rechtsbeschwerde des Arbeitgebers hatte nun vor dem BAG Erfolg. Danach hat der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 des Betriebsverfassungsgesetzes in sozialen Angelegenheiten nur mitzubestimmen, sofern keine gesetzliche oder tarifliche Regelung besteht.
2019 hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) allerdings im sogenannten Stechuhr-Urteil (Rs. C-55/18) entschieden, dass Arbeitgeber die Arbeitszeit ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter komplett erfassen müssen. Nach dem deutschen Arbeitszeitgesetz besteht eine solche Pflicht bislang nur für Überstunden und Sonntagsarbeit.
Kein Initiativrecht des Betriebsrats, da gesetzliche Vorgabe
Das BAG zog zur Begründung allerdings das Arbeitsschutzgesetz heran: Bei unionsrechtskonformer Auslegung von § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG, so der Senat, ist der Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer zu erfassen. Dies schließt ein – ggfs. mithilfe der Einigungsstelle durchsetzbares – Initiativrecht des Betriebsrats zur Einführung eines Systems der Arbeitszeiterfassung aus.
Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 13.09.2022 (Az.: 1 ABR 22/21).
Vorinstanz: Beschluss des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 27.07.2021 (Az.: 7 TaBV 79/20).
Info
§ 3 Arbeitsschutzgesetz (Grundpflichten des Arbeitgebers) besagt u.a.
„(1) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Er hat die Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und erforderlichenfalls sich ändernden Gegebenheiten anzupassen (…)
(2) Zur Planung und Durchführung der Maßnahmen nach Absatz 1 hat der Arbeitgeber unter Berücksichtigung der Art der Tätigkeiten und der Zahl der Beschäftigten (…) für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen“.
Zu diesen Mitteln zählt der Erste Senat offenbar auch eine systematische Erfassung der Arbeitszeit. Die Pflicht zum Nachhalten geleisteter Stunden ergibt sich damit aus dem Arbeitsschutzrecht und nicht aus dem Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes.
Dessen Vorschriften gewinnen nach Ansicht von Experten allerdings tendenziell dort an Bedeutung, wo Stunden bislang nicht erfasst werden und ‚unsichtbar‘ bleiben. Denn sofern ein Arbeitgeber künftig echte Vertrauensarbeitszeitmodelle – also z.B. Arbeitstage ohne Kernzeiten – anbieten möchte, kann er das weiterhin tun, muss allerdings sicherstellen, dass
- Arbeitszeiten dokumentiert und
- zulässige Höchstarbeitszeiten eingehalten und
- Vorgaben zu Ruhezeiten nicht verletzt werden.
Wichtig: Soweit bisher bekannt, trifft das BAG in seiner Entscheidung keine Aussage darüber, in welcher Form die Zeiterfassung vorgenommen werden muss. Ob sich der Senat dazu geäußert hat, muss die noch zu veröffentlichende Begründung des Beschlusses zeigen. Der Europäische Gerichtshof hatte in einem vielbeachteten Urteil 2019 bereits entschieden, es bedürfe eines „objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann“.