In dem Fall stritten eine Firma und ihr (vormaliger) technischer Leiter um die Wirksamkeit zweier Kündigungen und die Zahlung von Lohn wegen sog. Annahmeverzug. Nachdem der Mann seit Sommer 2018 als sog. CTO in dem Unternehmen gearbeitet hatte, erhielt er Anfang Dezember 2019 eine fristlose Änderungskündigung, derzufolge er künftig als (einfacher) Softwareentwickler zu deutlich verringerten Bezügen arbeiten sollte.
Laut einer BAG-Mitteilung hieß es in dem Schreiben weiter, „im Falle der Ablehnung der außerordentlichen Kündigung durch Sie (also im Falle, dass Sie von einem unaufgelösten Arbeitsverhältnis ausgehen) oder im Falle der Annahme des folgenden Angebots erwarten wir Sie am 05.12.2019 spätestens um 12:00 Uhr MEZ zum Arbeitsantritt“.
Als der Mann das Angebot dann ausschlug und auch nicht zur Arbeit kam, kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis Mitte Dezember noch einmal – diesmal „außerordentlich zum 17.12.2019 um 12:00 Uhr MEZ“. In diesem Dokument teilte die Firma ferner mit, „im Falle der Ablehnung dieser außerordentlichen Kündigung“ erwarte man den Arbeitnehmer „am 17.12.2019 spätestens um 12:00 Uhr MEZ zum Arbeitsantritt“. Darauf reagierte der Mann nicht, sondern ging vor Gericht.
War die Weiterbeschäftigung zumutbar? Und wenn ja, für wen?
Während die Vorinstanzen die beiden Kündigungen bereits für unwirksam erklärt hatten, stritten die Parteien in Erfurt nun noch um ausstehenden Lohn. Konkret forderte der ehemalige Arbeitnehmer, der zum April 2020 einen neuen Job gefunden hatte, „die Zahlung des arbeitsvertraglich vereinbarten Gehalts abzüglich des erhaltenen Arbeitslosengeldes bis zum Antritt der neuen Beschäftigung“. Sein Argument: Die Firma habe sich angesichts der unwirksamen Kündigungen im Annahmeverzug befunden. Für ihn hingegen sei eine Weiterbeschäftigung nicht zumutbar gewesen, da ihm zuvor „zu Unrecht mannigfaches Fehlverhalten vorgeworfen und seine Person herabgewürdigt“ worden sei. Das sah das Unternehmen anders und argumentierte, der Mann habe die Arbeit während Prozesses ohne hinreichend Grund verweigert.
Der Fünfte Senat ließ diese Rechtsaufassung jedoch nicht gelten und entschied:
„Die Beklagte befand sich aufgrund ihrer unwirksamen fristlosen Kündigungen im Annahmeverzug, ohne dass es eines Arbeitsangebots des Klägers bedurft hätte. Weil die Beklagte selbst davon ausging, eine Weiterbeschäftigung des Klägers sei ihr nicht zuzumuten, spricht wegen ihres widersprüchlichen Verhaltens eine tatsächliche Vermutung dafür, dass sie dem Kläger kein ernstgemeintes Angebot zu einer Prozessbeschäftigung unterbreitete.“
Und weiter:
„Darüber hinaus lässt die Ablehnung eines solchen „Angebots“ nicht auf einen fehlenden Leistungswillen des Klägers i.S.d. § 297 BGB schließen. Es käme lediglich in Betracht, dass er sich nach § 11 Nr. 2 KSchG böswillig unterlassenen Verdienst anrechnen lassen müsste. Das schied im Streitfall jedoch aus, weil dem Kläger aufgrund der gegen ihn im Rahmen der Kündigungen erhobenen Vorwürfe und der Herabwürdigung seiner Person eine Prozessbeschäftigung bei der Beklagten nicht zuzumuten war. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger im Kündigungsschutzprozess vorläufige Weiterbeschäftigung beantragt hat. Dieser Antrag war auf die Prozessbeschäftigung nach festgestellter Unwirksamkeit der Kündigungen gerichtet. Nur wenn der Kläger in einem solchen Fall die Weiterbeschäftigung abgelehnt hätte, hätte er sich seinerseits widersprüchlich verhalten. Hier ging es indes um die Weiterbeschäftigung in der Zeit bis zur erstinstanzlichen Entscheidung. Es macht einen Unterschied, ob der Arbeitnehmer trotz der gegen ihn im Rahmen einer verhaltensbedingten Kündigung erhobenen (gravierenden) Vorwürfe weiterarbeiten soll oder er nach erstinstanzlichem Obsiegen im Kündigungsschutzprozess gleichsam „rehabilitiert“ in den Betrieb zurückkehren kann.“
Noch deutlicher hatte das zuvor bereits das Landesarbeitsgericht Sachsen das unorthodoxe Vorgehen des Arbeitsgebers kommentiert:
„Mit Blick auf die Wirksamkeit der Kündigung ist es nicht sinnvoll, wenn ein Arbeitgeber ein vertraglich vorübergehend nicht ordentlich kündbares Arbeitsverhältnis außerordentlich (änderungs-)kündigt und dabei aus Angst vor Annahmeverzugsansprüchen für den Fall, dass der Arbeitnehmer mit der Kündigung nicht einverstanden ist, gleichzeitig die Weiterbeschäftigung zu den ursprünglichen Arbeitsbedingungen anbietet. Durch solches Vorgehen widerlegt der Arbeitgeber den für eine außerordentliche Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB erforderlichen wichtigen Grund selbst, denn er gibt zu erkennen, dass ihm eine Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen zumutbar ist.“
Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 29.03.2023 (Az.: 5 AZR 255/22).
Vorinstanz: Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts 01.11.2021 (Az.: 1 Sa 330/20).
Info
§ 293 BGB besagt: „Der Gläubiger kommt in Verzug, wenn er die ihm angebotene Leistung nicht annimmt.“ Das wird auch als Annahmeverzug bezeichnet. Der wohl wichtigste Fall des Annahmeverzuges tritt im Arbeitsrecht meist nach einer Kündigung ein – nämlich, wenn sich die Arbeitsvertragsparteien trennen, obwohl die Kündigungsfrist noch läuft oder ein Kündigungsschutzprozess noch andauert. Je nach Gerichtsentscheidung im konkreten Fall hat ein Arbeitnehmer dann entweder keinen Anspruch auf Vergütung oder der Arbeitgeber muss sog. Verzugslohn nachzahlen.